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Was sie zusammenführte, war ihr Mut zur Menschlichkeit –

Cato Bontjes van Beek und die Rote Kapelle

Vortrag mit Stefan Roloff am 25.08.2023 im Buthmanns Hof, Fischerhude
Am 5. August 2023 jährte sich zum achtzigsten Mal der Tag, an dem die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus Cato Bontjes van Beek in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil umgebracht wurde. Zum Gedenken an ihr Wirken in der Widerstandsgruppe Rote Kapelle findet zur Zeit in Buthmanns Hof eine Ausstellung des Kunstvereins Fischerhude unter dem Titel „Cato lebt weiter“ mit Collagen und Papierreliefs von Jürgen Brodwolf statt. 
Im Raum unter dem Giebel werden gleichzeitig Arbeiten Jugendlicher gegen Rechtsextremismus und jegliche Art von Diskriminierung und für ein gleichberechtigtes demokratisches Zusammenleben präsentiert, die durch den seit 2020 ausgelobten Jugendpreis für den Landkreis Verden der AG frauenORT Fischerhude / Achim ausgezeichnet worden sind.

Für das Begleitprogramm zu diesen Ausstellungen konnten Marlies Meyer, Gleichstellungsbeauftrgate für den Flecken Ottersberg, und Dr. Angelika Saupe, Gleichstellungsbeauftragte für die Stadt Achim, Stefan Roloff zu einem Vortrag unter dem Titel „Begegnungen mit der Roten Kapelle“ gewinnen. Stefan Roloff lebt und arbeitet in Berlin und New York. Er ist einer der Pioniere der digitalen Bildanimation. In seiner Kunst kombiniert er Malerei, Fotografie und Film. 
Selbst Sohn eines Überlebenden der Roten Kapelle, des Pianisten Helmut Roloff, führte er zwischen 1998 und 2002 Interviews mit 24 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Nachkommen über die Widerstandsbewegung Rote Kapelle durch. Diese Interviews und Spielszenen in neuartiger Animationstechnik verarbeitete er zu einem Film für das Format „Das Kleine Fernsehspiel“ im ZDF in 2003. Seit 2015 ist dieser Film Teil der permanenten Ausstellung des United States Holocaust Museums.

Ohne Pult und Mikrofon, in freier Rede und auf eine sehr gelassene Weise zog Stefan Roloff fast anderthalb Stunden das Publikum in seinen Bann. Um die Haltung seines Vaters zu illustrieren, begann er – Jahrgang 1953 -  mit einer Episode aus seinen Kindheitstagen: Nach einem Einbruch in die elterliche Wohnung seien Kriminalbeamte mit dem Tatverdächtigen zur Ortsbesichtigung vorbeigekommen. Sein Vater habe ihn aufgefordert, auch dem Tatverdächtigen die Hand zu geben und einen Diener zu machen. 

Die Rote Kapelle sei ein Netzwerk von Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher sozialer Herkunft und mit einer großen Bandbreite an religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen  gewesen, die sich von der Unmenschlichkeit des NS-Regimes abgestoßen fühlten. Sie hätten die Nähe, das Gespräch und die Aktion mit einander in kleinen Gruppen gesucht, die jeweils über eine Person zu anderen Gruppen unter Decknamen in Verbindung standen. 40 % der Beteiligten seien Frauen gewesen.
Die Gestapo-Sonderkommission habe den Arbeitstitel „Rote Kapelle“ für dieses Netzwerk gewählt, da sich Hitler und die Nazi-Führung solch eine Vielfalt an widerständigen Menschen gar nicht vorstellen konnten und die Beamten in der Hoffnung auf Belohnung ihre kriminalistische Tätigkeit im Sinne einer Arbeit gegen einen skrupellosen Feind aufwerten wollten. Die Initiatoren dieses Netzwerkes Harro Schulze-Boysen, Adjutant des Gruppenleiters Presse Inland / Ausland im Reichsluftfahrtministerium, und Arvid Harnack, Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, hätten sowohl Kontakte zur sowjetischen wie auch zur amerikanischen Botschaft aufgebaut. Ihnen wie allen anderen sei es aber besonders wichtig gewesen, eine Informations- und Wahrheitskampagne unter der deutschen Bevölkerung durchzuführen, um sie zum Aufstand aufzurütteln, und denen zu helfen, die untertauchen mussten und auf der Flucht waren.

Cato Bontjes van Beek und ihre Schwester Mietje hätten sich aus Neugier und Abenteuerlust zu den französischen Kriegsgefangenen gesellt, die in gesonderten S-Bahn-Waggons zu ihren Arbeitskommandos unterwegs waren, indem sie kurz vor dem Anfahren des Zuges in deren Wagen gesprungen seien. Sie hätten den Flirt in deren Nähe genossen, ihnen Hilfsgüter zugesteckt und mit ihnen Briefe ausgetauscht. Für kurze Zeit hätten sie in deren Gegenwart frei durchatmen können. Über ihren Freund Heinz Strelow habe sich Cato dem Netzwerk der Roten Kapelle angeschlossen. Sie habe Texte mit verfasst, Protestschreiben an ausgewählte Adressen verteilt oder zusammen mit Heinz als Liebespaar heimlich an Plakatwände Klebezettel mit aufrührerischen Sprüchen wie „Gestapo, wie lange noch?“ geheftet.

Mietje sei im Herbst 1942 nur deshalb der Verhaftung entgangen, weil sie sich wegen einer längeren Krankheit in Fischerhude aufgehalten habe. Cato sei hingegen verhaftet und zunächst in das Frauengefängnis in der Kantstraße und später in die Haftanstalt Plötzensee verbracht worden. Dort hätte sie die Armbinde mit dem „TK“ für „Todeskandidat“ tragen müssen.

In dieser Zeit bis zu ihrer Hinrichtung im August 1943 entwickelte sich eine tiefe emotionale und geistige Beziehung zwischen ihr, der über 20-Jährigen, und dem 16-jährigen Rainer Küchenmeister aus dem kommunistischen Arbeitermilieu. Sie hätten sich von Zelle zu Zelle über Klopfzeichen und Zettel verständigt, die sie über Fäden durch die Gitter der Zellenfenster hin und her austauschten. Cato habe Rainer Texte von Goethe und Hölderlin zukommen lassen. Schließlich habe Cato Rainer Küchenmeister gesagt, er wäre zum Künstler berufen und müsste später Zeugnis ablegen. Rainer Küchenmeister habe Haft, KZ und Strafbataillon überlebt. Selbst habe er von sich gesagt, er hätte sich seine menschliche Würde nur in der Hinwendung zu seinen Mithäftlingen bewahren können. Tatsächlich sei er Künstler geworden, der zweimal auf der Documenta in Kassel vertreten war. In seinem Werk habe Küchenmeister immer und immer wieder Gestalten gemalt, denen der Kopf fehlte.

Stefan Roloff setzte sich in seinem künstlerischen Schaffen auch mit dem Fotoalbum der Gestapo auseinander. Er führte aus, die Portraits zeigten Fassaden, verschlossene Gesichter von in sich gekehrten Menschen. Durch das digitale Verfahren des Morphing habe er versucht, die Gesichter von jeweils zwei Verhafteten ineinander fließen zu lassen, sodass ein gemeinsames Gesicht entstand. Dies stehe für die gemeinsame Verbundenheit dieser Menschen im Kampf gegen die Willkür des NS-Staats.

Der Künstler hob hervor, wie ihn noch 2006 eine ihn als unheimlich erscheinende E-Mail in New York erreichte. Die Absenderin habe ihn über die englischsprachige Webseite zu seinem Dokumentarfilm gefunden. Sie hatte im Nachlass ihrer Mutter eine Anzahl von Gouachen, Bildern mit einem grobkörnigen, stark farbigen Aufstrich, gefunden. Sie zeigten Szenen aus dem Leben zweier junger Frauen. Die Tochter habe die Frage beschäftigt, ob die Bilder in einem Zusammenhang mit der Roten Kapelle stehen, denn die Mutter stammte aus Berlin. Ihre Mutter hätte häufig davon gesprochen, dass ihre Freunde guillotiniert worden waren. Dies hätten ihre Familienangehörigen nicht glauben können, zumal sie am Ende ihres Lebens mehrmals in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Auf zwei der Gouachen konnte Stefan Roloff tatsächlich Heinz Strelow, den Freund Catos, identifizieren. Somit habe er den Wahrheitsgehalt der Erzählungen ihrer Mutter bestätigen können. Die Freundin ihrer Mutter, Katja Meirowski, hatte diese Bilder gemalt. Es gibt ein Foto aus dem Jahre 1942, das Cato, Heinz Strelow und eine zweite junge Frau an ihrer Seite abbildet, wie sie sich durch eine sonnenbeschienende Berliner Straße mit ausgreifenden Schritten bewegen. Mietje Bontjes van Beek habe ihm anhand dieses Fotos bestätigen können, dass sich Cato, Heinz und Katja kannten. Nach einigen Recherchen habe er Katja Meirowski am Rande Berlins lebend ausfindig machen können. Stefan Roloff fand eine hochbetagte, aber sehr vitale Frau vor. Sie war diejenige gewesen, die in der elterlichen Wohnung von Lisa Egler, der Mutter der Frau, die ihn in New York kontaktiert hatte, Verfolgte versteckte, solange deren Eltern die Zeit in ihrem Wochenendhaus verbrachten. Über Katja erfuhr Stefan Roloff, dass die Mitglieder der Roten Kapelle ein ganzes Netz von Verstecken unterhielten, um Verfolgten Unterschlupf zu gewährleisten, bis sie möglicherweise das Land verlassen konnten. Aus der Reihe der Überlebenden war Katja Meirowski seine letzte Interviewpartnerin.

Stefan Roloff betonte, der Widerstand der Roten Kapelle sei in der Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik als „kommunistisch“ diffamiert worden, während die DDR einseitig den Aspekt hervorgehoben habe, dass sie als Kundschafter für die Sowjetunion tätig gewesen sei. Im Westen seien diejenigen, die Cato und die vielen anderen dieses Netzes des Widerstands gefasst, abgeurteilt und ermordet hatten, nicht verurteilt und bestraft worden. So hätte Manfred Roeder, der Untersuchungsführer und Ankläger in den Prozessen gegen die Mitglieder der Roten Kapelle den Amerikanern und der Öffentlichkeit nach dem Krieg weismachen können, dass es auch ihm um den Kampf gegen den „Kommunismus“ gegangen sei. In diesem Zusammenhang berichtete Stefan Roloff von einer Episode aus seinem Gespräch mit Tim Bontjes van Beek. Tim habe in den fünfziger Jahren von einer Veranstaltung der rechtsextremen Deutschen Reichspartei mit Manfred Roeder im Winterhuder Fährhaus in Hamburg erfahren. Er sei zu dessen Auftritt  gefahren, um sich mit dem Mann zu konfrontieren, der seine Schwester auf dem Gewissen hatte. Die Szene sei für ihn so unerträglich gewesen, dass er nicht mehr frei atmen konnte und den Veranstaltungsort verlassen musste.

Stefan Roloff fasste zusammen, was die Mitglieder der Roten Kapelle in ihrer Unterschiedlichkeit verband und zum Handeln brachte, sei der Mut zur Wahrheit und Menschlichkeit gewesen.

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