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Offener Brief des NetzWerks Unantastbar Verden an Boris Pistorius wegen pauschaler Vorverurteilung

Nach den Schlagzeilen "Innenminister Pistorius prüft Antifa-Verbot" sind wir sehr besorgt.

Antifaschistin Esther Bejarano (Ehren-Mitglied in der VVN/BDA) und ihre Band Microphon Mafia
NetzWerk Unantastbar Verden
Sprecher:
Andreas Bortfeldt
27283 Verden
mobil: 0173 2162689
Andreas.bortfeldt@t-online.de


Herrn Minister Pistorius
Hannover


Sehr geehrter Herr Minister Pistorius,
das „NetzWerk Unantastbar Landkreis Verden“, ein Zusammenschluss von Initiativen und Vereinen, die sich kritisch für Frieden, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte im Landkreis Verden einsetzen, wendet sich an Sie als zuständigen Minister des Landes Niedersachsen. (Die 15 Mitglieder sind am Ende aufgelistet)

Wir bitten Sie eindringlich, das Verbot der „ANTIFA“ fallen zu lassen und hierzu eine deutliche Erklärung abzugeben, um zu einer eindeutigen Klarstellung in der Öffentlichkeit zu gelangen. Wir möchten keine Einschränkung unserer ehrenamtlichen und engagierten Arbeit befürchten.
Wir wenden uns direkt an Sie, weil wir davon ausgehen, dass Sie Verständnis für unsere Sorgen und unseren Standpunkt haben. Eine sehr ausführliche Begründung und Darstellung ist angefügt. Eine Kopie wird dem MdL Frau Dr. Liebetruth zugestellt.
Wir würden uns über eine Rückmeldung sehr freuen.
Gez. Andreas Bortfeldt

Begründung
Durch den Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen werden Einzel-Bündnis-Strukturen effizienter gestaltet und gewinnen damit an Schlagkraft. Das neue NetzWerk trägt dazu bei, schneller auf politische Entwicklungen reagieren zu können und dient insbesondere auch dem Informationsaustausch. Das NetzWerk ist nicht per se Trägerkreis für gemeinsame Aktionen, sondern ermöglicht, dass sich Aktionen entwickeln, die dann bei Bedarf zu Aktionsbündnissen führen. Die Mitgliedsorganisationen sprechen sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und jegliche Art von Diskriminierung von Menschen auf Grund ihrer gesellschaftlichen Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, der sexuellen Identität, ihrer Religion aus.

Da wir uns mit dem historischen Nationalsozialismus genauso wie mit aktuellen Erscheinungsformen der extremen Rechten auseinandersetzen, sind wir auch vielfältigen Anfeindungen aus diesem Lager ausgesetzt.
Solidarität mit Geflüchteten, Engagement für Menschenrechte und Antifaschismus waren die grundlegenden Themen, die uns zur Gründung des Netzwerkes Unantastbar mit Bezug auf Artikel 1 des Grundgesetzes motiviert hat. Wir sind Antifaschist*innen.
Deshalb sind wir von entsprechenden Verbotsdiskussionen direkt betroffen, auch wenn wir jegliche Gewalt ablehnen und manche Selbstinszenierung für problematisch halten.

Wir haben die Brandstiftung auf die Fahrzeuge der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig zur Kenntnis genommen. Brandstiftung und Sachbeschädigung sind Straftaten, die im Rechtsstaat strafrechtlich verfolgt werden müssen. Uns ist dazu aktuell (16.02.2021) folgender Sachstand bekannt:
Ermittlungsergebnisse über die Täter sind nicht bekannt.
In einem Bekennerschreiben im Internet bekennen sich Unbekannte aus Solidarität mit Geflüchteten zur Tat.
Aus dem Bekennerschreiben ergibt sich kein direkter Zusammenhang zur Antifa, sondern vor allem Hinweise auf die Situation von Menschen auf der Flucht und deren Widerstand.
Das Bekennerschreiben wird von der Polizei als authentisch eingestuft, könnte aber auch ein Fake sein.
Wir erwarten durch die Sicherheitsbehörden und die Justiz eine konsequente Strafverfolgung ohne pauschale Vorverurteilung von antifaschistischen Gruppen und Institutionen.
Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt nach unserer Kenntnis in „alle Richtungen“, sieht die Brandstiftung derzeit in Abstimmung mit der Bundesanwaltschaft nicht als terroristische Tat, sondern gegebenenfalls als Sabotage gegen den Staat und verzichtet auf pauschale Vorverurteilungen. (Stand 16.02.2021)

Zugleich haben wir wahrgenommen, dass Sie wohl auf Zuruf von Uwe Schünemann und dem Bund deutscher Kriminalbeamter eine Verbotsdebatte ins Rollen gebracht haben.
Der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK)
sieht durch die Tat terroristische Strukturen im Linksextremismus bestätigt,
vergleicht die Brandstiftungen mit der RAF,
und fordert ein Verbot von gewaltbereiten linksradikalen Gruppen und insbesondere der ANTIFA.

Sie haben offensichtlich diese Punkte in einem Interview aufgegriffen und füllten anschließend die Schlagzeilen vieler Tageszeitungen mit der Aussage „Pistorius prüft Verbot der ANTIFA“. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil noch keine Täter*innen ermittelt wurden.
Das ist für die autoritären Nationalradikalen und die extreme Rechte eine Steilvorlage bei der Hetze gegen alle Antifaschist*innen, unabhängig davon, ob diese sich bei den Omas gegen Rechts, in einer Gewerkschaft oder in der SPD engagieren.

Die folgenden Beispiele zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus unseren Erfahrungen zu den verbalen Attacken und ihre Folgen:
Die AfD attackiert in Sachsen-Anhalt den Verein Miteinander e.V., weil er gute Bildungs- und Beratungsarbeit gegen extreme Rechte macht.
Im Magdeburger Landtag bezeichnete ein Abgeordneter das Projekt SOR-SMC als linken Meinungsterror.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird fortwährend attackiert.
Die AfD in Nienburg diffamierte demokratisches Engagement und unterstellte, dass die Kommunalbehörden, über das Weser-Aller-Bündnis: Engagiert für Demokratie & Zivilcourage (WABE) im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" Straftaten fördern würden.
Jüngst bezeichnete eine Nienburger Querdenkerin ANTIFA und BLM als Ungeziefer der Gesellschaft.
Antifaschistische Jugendliche werden regelmäßig kriminalisiert, selbst wenn sie Opfer von rechtsextremen Übergriffen werden.
Darüber hinaus machen rechtsextreme Strukturen in der Bundeswehr und der Polizei vielen Menschen Angst.

Hinzu kommen Drohungen, körperliche Übergriffe und in unserer Region rund um Bremen eine Serie von Anschlägen gegen die Gastronomiebetriebe von Wirten mit Migrationsgeschichte, bei denen rechtsextreme Symbole hinterlassen wurden.
Sie sind durch Ihr Interview (ungewollt) zum Stichwortgeber für die AfD und die extreme Rechte geworden, die sich jetzt bei Verbotsforderungen auf Sie berufen.

Nachdem es viel Kritik gab, haben Sie korrigiert, dass Sie nie davon gesprochen hätten ein Verbot von ANTIFA-Gruppen prüfen zu lassen und es ginge darum z. B. Vereinen, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, die sich nicht klar genug von Gewalt distanzieren. Das hat uns nicht wirklich beruhigt, da die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei den menschenrechtsorientierten Vereinen Attac e.V. und Campact e.V. viele von uns nachdenklich gestimmt hat. Ihre Aussage zum Entzug von Förderung und der Gemeinnützigkeit hat jetzt zusätzlich weitere Vereine unter Verdacht gestellt, die sich inhaltlich mit Rechtsextremismus beschäftigen.

Die pauschale Kriminalisierung von Antifaschisten verbunden mit dem Thema „Antifa-Verbot“ ist mit Ihrem Namen bundesweit durch die Schlagzeilen gegangen und wird Sie eine Weile begleiten. Bei einer kritischen Presseschau zum Thema könnte man glauben, dass die Unschuldsvermutung für Antifaschist*innen in Niedersachsen nicht gilt. Erfreulicherweise hat aber die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Ihnen und Teilen der Polizei auf pauschale Vorverurteilungen verzichtet.

Pauschale Kriminalisierung richtet Schaden an:
Manche Menschen trauen sich nicht mehr, sich gegen rechts zu engagieren, ziehen sich zurück oder sind nur mit doppelter Rückversicherung aktiv.
Das Vertrauen in den Rechtsstaat wird untergraben.
Die Stimmung wird mit rechten Narrativen aufgeheizt.
Wir müssen uns mit der Abwehr von solchen Angriffen beschäftigen, statt aktiv gegen Menschenrechtsverletzungen und die extreme Rechte zu wirken.
Antifaschist*innen werden zu Feindbildern im öffentlichen Diskurs.

Deshalb wünschen wir uns von Ihnen eine klare Abkehr von einer solchen pauschalen Kriminalisierung und Schuldzuschreibung sowie eine wirksame Korrektur in der breiten Medienlandschaft.

Mitglieder im Netzwerk Unantastbar Landkreis Verden:
DGB
Amneysty International
Verden hilft e. V.
Flüchtlingshilfe Thedinghausen
Forum Zukunft Dörverden
WABE e. V.
Friday For Future Verden
Drübberholz e.V.
DOZ 20
AK FrauenOrt Cato Bontjes van Beek
Ankommen in Thedinghausen
AK FrauenORT Anita Augspurg
Omas gegen Rechts
Verein Verdener Waggon e.V.
Friedensinititive Verden

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