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Vortrag über Reichbürger*innen und Querdenkende beleuchtet radikalisierte, rechtsoffene und rechtsextreme Mischszenen

Fundierter Vortrag der Fachjournalistin Andrea Röpke im KASCH in Achim

Andrea Röpke beim Vortrag im KASCH in Achim
Über die Reichsbürger- und Querdenken-Bewegung informierten sich mehr als 30 Personen am vergangenen Mittwoch bei einem Vortrag im Achimer Kasch. Der Wabe e.V. hatte im Rahmen seines Projekts „Demokratie im Fluss“ den Journalisten und Buchautor Andreas Speit eingeladen, der jedoch kurzfristig verhindert war. An seiner Stelle referierte Andrea Röpke. Die preisgekrönte Fachjournalistin recherchiert seit Jahrzehnten zur extremen Rechten, ist Autorin mehrerer Bücher und gab mehrfach als Sachverständige Auskunft in Gerichtsverfahren und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Die Querdenken-Bewegung beobachtet Andrea Röpke von Beginn an bundesweit. Wie unter einem Brennglas wurde bei den sogenannten Corona-Protesten sichtbar, dass die extreme Rechte die mit der Pandemie verbundenen Unsicherheiten instrumentalisierte und gezielt an der Formierung einer Mischszene aus Verschwörungsideologen, Reichsbürgern, Esoterikern und Impfgegnern arbeite.

Zwar sei die Mischszene äußerst heterogen und fluide, doch wurden auf den Protesten von Anfang an Reichsbürgersymbolik sichtbar, der Nationalsozialismus und die Shoah relativiert und antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet, wonach hinter der Pandemie der geheime Plan einer „die Strippen ziehenden globalen Elite“ stecke. Die von dem „Bewegungsunternehmer“ Michael Ballweg initiierte Protestbewegung „Querdenken 711“ zeigte sich ebenfalls für die Reichsbürgerideologie offen. So traf sich der in Untersuchungshaft sitzende Ballweg persönlich mit Peter Fitzek, dem selbsternannten Anführer der Reichsbürger-Gruppierung „Königreich Deutschland“.

Rechtsoffen und unterwandert

Was bei den Protesten grundsätzlich fehlte, war eine deutliche Abgrenzung von Akteuren oder Inhalten der extremen Rechten. Die nach außen wie eine heterogene Graswurzel-Bewegung wirkende Mischszene, wurde unter anderen von mobilisierungserfahrenen Strukturen wie den rechtsextremen Freien Sachsen oder den Machern des COMPACT-Magazins, das der Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem bezeichnet, orchestriert. Sichtbar wurde das nicht nur in den einschlägigen Telegram-Kanälen, sondern auch an der Themensetzung auf den Corona-Protesten, die sich auffällig häufig ähnelten. Während die Auswirkungen der Pandemie anfangs im Vordergrund standen, zweifelten die Protestierenden im Laufe der Zeit äußerst themenflexibel Russlands Verantwortung im Angriffskrieg gegen die Ukraine an oder versuchten aus der kriegsbedingten Energiekrise politisches Kapital zu schlagen. Politisch ausmünzen wollten die Corona-Proteste auch Mitglieder oder Anhänger der AfD und der verschwörungsideologischen Partei „Die Basis“.

Radikalisierung der Mischszene

Die Radikalisierung der Mischszene beschränkt sich nicht auf das Netz und die Straße. Wie Ende letzten Jahres bekannt wurde, gab es Pläne zum Sturz der Bundesregierung und des politischen Systems, an denen sich ehemalige Abgehordnete bzw. Kandidaten der AfD und „Die Basis“ beteiligten. Sie gehören neben (ehemaligen) Polizisten, Spezialkräften der Bundeswehr und anderen Personen „aus der Mitte der Gesellschaft“ zum Kreis der Beschuldigten um die terroristische Gruppierung  „Patriotische Union“. Anlass zur Sorge bereitet der Journalistin, dass sich unter den Beschuldigten Sicherheitskräfte mit militärischem Know-how und Zugang zu Waffen befinden. Sie geht davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist.

Aggressive „Herzensmenschen“

Obwohl die Bezüge in die extreme Rechte von Anfang an deutlich zu erkennen waren, ordnet der Verfassungsschutz die Mischszene der eigens geschaffenen Kategorie der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ zu, was für Röpke ebenso wenig plausibel ist, wie die behördliche Einschätzung, wonach nicht alle Reichsbürger als rechtsextrem gelten, obwohl diese die Demokratie ablehnten, oftmals antisemitisch argumentierten und nicht selten gewaltaffin seien. Die Selbstverharmlosung der Mischszene durch optische oder sprachliche Anspielungen an vermeintlich friedliche, „hippieske“ Protestbewegungen kann die Journalistin aus eigener Erfahrung widerlegen. Nicht nur beim Sturm auf das Reichstagsgebäude in Berlin, auch auf Demonstrationen in Verden, Rotenburg oder Twistringen wurden Pressevertreter körperlich bedrängt, verbal bedroht und damit an der Ausübung ihrer grundgesetzlich geschützten Arbeit behindert. Über die Aggressivität der Szene berichten Journalisten und Beobachter bundesweit.

Aktuelle Entwicklungen

Eine aktuell besorgniserregende Entwicklung seit der Corona-Pandemie sei, dass Eltern ihre Kinder auch nach Ende der Pandemieschutzmaßnahmen von der Schule fernhielten. Sogenannte Freilerner-Initiativen und illegale Schulprojekte mit ideologisch gefärbten „Bildungsinhalten“ sind attraktiv für ein Milieu, das den demokratischen Staat, Wissenschaft und Pluralismus ablehnt. Sie stellen ein weiteres Einfallstor für verschwörungsideologische Querverbindungen der Reichsbürgerideologie oder etwa der antisemitischen russischen Anastasia-Sekte dar.

So unübersichtlich und dynamisch die verschwörungsideologische Szene insgesamt auch ist, die Querverbindungen zwischen den einzelnen Milieus sind eine Gelegenheit für die extreme Rechte, demokratiefeindliches Gedankengut in die Gesellschaft zu transportieren. Die Fragen aus dem Publikum machten deutlich, dass die Bewegung auch auf der lokalen Ebene sachliche Aufmerksamkeit erfahren müsse. Die Strategie des Ignorierens hat sich im Umgang mit der extremen Rechten zumindest noch nie bewährt.

Kommentare

von Micha
09.04.2023
12:14 Uhr
Top Zusammenfassung

Eine wirklich gute Zusammenfassung, did das referierte von Andrea Röpcke nochmal in Erinnerung bringt. Danke

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